Gerade die traditionellen reetgedeckten Ferienhäuser Norddeutschlands stehen bei den Touristen hoch im Kurs. Und es überrascht daher kaum, dass für die Mühle bei St. Peter Ording schon Buchungsanfragen eintrafen, bevor die Sanierungsarbeiten im Mai 2014 abgeschlossen waren. Doch vor dem Start der Feriensaison musste das Reet vom Kopf der Mühle inklusive der vertikalen Reetflächen erneuert werden. Eine komplexe Aufgabe für die Reetdecker, die für dieses spezielle Mühlenprojekt reichlich Erfahrung mitbringen mussten.
Von der Küche und dem großzügig angelegten Gemeinschaftsbereich mit Bad und WC im Erdgeschoss, erschließt sich dieser Urlaubstraum über die zweite Etage mit einem weiteren Wohnbereich mit über hundert Jahre alten Balken an der Decke und den Wänden sowie zwei Schlafzimmern und zwei weiteren Schlafräumen im dritten Stock. Das wirkliche Highlight des Hauses sind aber der Außenbereich mit der offenen, rundum reichenden Galerie, die einen weiten Blick auf die Deiche und die Nordsee gewährt sowie der obere Teil der Mühle, die bis zum Kopf begehbar ist.
„Man sagt, dass ein Reetdecker im Leben mindestens eine Mühle eingedeckt haben sollte“, erklärt Andreas Onken, Inhaber der gleichnamigen Bedachungsfirma aus Seeborg bei Bremerhaven, die aufgrund ihrer Erfahrung für dieses Projekt mit der Kalkulation und Realisierung beauftragt wurde. „Für uns ist das bereits das siebente Mühlenprojekt“, sagt er weiter und erklärt, dass es neben der Konstruktion und Bedachung des Mühlenkopfes vor allem die vertikalen Flächen (Schächte) sind, die den Dachaufbau erschweren. „Es bedarf besonderer Techniken und Erfahrung, um das Reet in einer fast vertikalen Neigung langfristig haltbar zu befestigen. Jedes Bund muss fachgerecht verdrahtet werden, sonst rutscht das Reet heraus und das Dach wird schadhaft.“
Und wenn ein gestandener Reetdecker endlich seine Chance auf ein Mühlenprojekt erhält, dann wird jeder Arbeitsbereich des Hauses mit Kraft und Begeisterung erklettert. Praktische Hilfe beim Aufbau leistete ein kleiner Fahrstuhl an der Außenseite. Es waren aber trotzdem viele Materialien, Werkzeuge und sperrige Objekte, wie Schalbretter und Kupferbleche, die über Leitern nach oben geschafft werden mussten. Die Teamarbeit und vor allem die Absprachen auf der Baustelle entfalten sich damit automatisch effektiver, beispielsweise,wenn oben am Mühlenkopf Schraubarbeiten anstehen und man vor dem Gang nach unten lieber noch einmal darauf hinweist, dass die 18er Schrauben nicht passen und besser die 14er Schrauben geholt werden müssen.
Ursprünglich war geplant, den ganzen Kopf der Mühle herunterzuheben und auf dem Boden neu einzudecken und dann wieder heraufzuheben. Dann entschied man sich aber doch, den Mühlenkopf oben zu sanieren und die bestehende Konstruktion mit den wesentlichen Verbindungen zu belassen. Mit dem Abriss des alten Reets waren sechs Reetdecker befasst. Das Reet wurde abgenommen und bundweise gewickelt und einfach nach unten geworfen. Die neue Lattung wurde sehr dicht gehalten, damit der Kopf später mit dem eingedeckten Reet seine runde Form erhält. Erst dann wurde das neue Reet mit dem Lift nach oben transportiert und die 60 qm große Fläche am Mühlenkopf innerhalb einer Woche von vier erfahrenen Mitarbeitern eingedeckt. Das Reet musste in diesem Bereich ungewöhnlich kurz auf eine maximale Länge von 1,2 m geschnitten und in Form gebracht werden, um nicht zu viel Vordach entstehen zu lassen, das dem Wind zusätzliche Angriffsfläche gegeben hätte.
Die Schieferarbeiten am Mühlenkopf wurden von einem erfahrenen Harddachdecker und
die Holzarbeiten von einem versierten Zimmermann ausgeführt. Vielleicht war auch das ein Grund für den Zuschlag der Besitzerin (und Architektin) an die Firma Onken, weil gerade dieses Unternehmen die notwendige Bandbreite an Leistungen für ein derartiges Mühlenprojekt anbietet.
Parallel zu den Arbeiten am Dach wurden 20 weitere 8 qm bis 160 qm große vertikale Flächen (Schächte) über die gesamte Höhe der Mühle ausgebessert, nachgebunden, nachgeklopft, die Anschlüsse mit Maschendraht gesichert, um spätere Einstiegs- bzw. Schlupfmöglichkeiten für Tiere zu vermeiden.
An den vertikalen Flächen arbeiteten die Reetdecker ähnlich wie bei der normalen Reeteindeckung. Der Reetdecker beginnt dann, die Reetbunde Lage für Lage an
der Lattung zu befestigen. Hierzu legt er die Bunde auf die Lattung, fixiert sie erst einmal
mit langen gebogenen und geraden Feststecknadeln und legt dann darauf einen 5 mm dicken verzinkten Rundstahl (Schacht- oder Dickdraht) parallel zur Lattung auf die Bunde. Dann bindet er den Schachtdraht alle 20 bis 25 cm mit Bindedraht (5 mm verzinkter Walzdraht und Chromnickeldraht) locker an der Lattung fest. Nach dem Öffnen der Bunde wurden die Enden des Reets teilweise mit dem geriffelten Klopfbrett oder auch mit einer elektrischen Heckenschere in Lage der vorgegebenen Dachneigung gebracht.
Danach wurden die Bindedrähte angezogen, um das Reet mit dem Schachtdraht auf die Lattung zu drücken. Abschließend wurden die Bindedrähte über dem Schachtdraht verknotet oder zusammengedreht.
Das Ergebnis dieser traditionellen Arbeitstechnik ist eine langfristig haltbare Verbindung des Reets, die Wind und Wetter an der Nordseeküste über Jahrzehnte wirksam Widerstand leistet. Auf der Wetterseite hat ein Reetdach eine Lebensdauer von etwa sechzig Jahren, auf der geschützten Seite kann das Reet auch achtzig Jahre alt werden.