Viele Bauherren planen und überlegen jahrelang, bis sie sich für ihr Bauprojekt entscheiden. „Bei uns war das völlig anders. Wir haben den ehemaligen Bauernhof in Seestermühe im Landkreis Pinneberg im Vorbeifahren gesehen und durch Zufall gehört, dass er zum Verkauf steht“, sagen die Bauherren begeistert. „Unsere Entscheidung fiel sofort, weil wir das alte reetgedeckte Haus auf den ersten Blick ins Herz geschlossen haben.“ Dann ging es fast ebenso schnell weiter. Die Planung für den Innenausbau stand in wenigen Wochen ebenso fest wie die Entscheidung für einen neuen Aufbau des Dachs inklusive der Dacheindeckung mit Reet, die neben dem traditionellen Handwerk des Reetdachdeckers auch den aktuellen energetischen Anforderungen an einen Dachaufbau entsprach.
Der Auftrag ging an die Reetdachdeckerei Hermann Suhr mit Firmensitz in Seester, die in nur vier Wochen die Eindeckung inklusive Erneuerung der Lattung und der Erfüllung sämtlicher energetischer Vorgaben ausführte. Zuerst wurde das alte Reet auf der rückwärtigen Seite des Gebäudes abgetragen. Dann ging es weiter mit den Arbeiten am Dachstuhl und der energetischen Sanierung. Diese umfassten eine neue Dampfsperre, das Einbringen von Klemmfilz Mineralwolle zwischen den Sparren und einer variablen Sperrschicht. Darüber erfolgte dann eine Konterlattung mit einer Stärke von 8 cm. An der Traufe wurde über die gesamte Länge ein Lüftungsgitter montiert und später am First eine entsprechend lange Röhrenlüftung eingearbeitet. Durch den Wind (Druck und Sog) besteht eine Zirkulation im hinterlüfteten Bereich. Durch die Be- und Entlüftung der Hinterlüftungsschicht ist die Funktion der Reetdacheindeckung als Kaltdach gewährleistet. In der Praxis zeigen sich dabei die guten bauphysikalischen Eigenschaften des Reets. Das Reetdach funktioniert als eine Klimabarriere und hat im Winter wärmende und im Sommer kühlende Eigenschaften.
6.800 Bunde Reet für das Dach des alten Bauernhauses
Nach der Einbringung der Dämmung im Dachstuhl begannen die Reetdachdecker mit ihrer eigentlichen traditionellen Arbeit und es entstand dann genau die Szenerie, die wohl jeden Bauherrn und Betrachter für dieses traditionelle Handwerk der Reetdachdeckerei begeistert. Es ist die Arbeit mit natürlichem Material, das mit traditionellen Werkzeugen bearbeitet und in Form gebracht wird. Es ist die fachkundig und perfekt ausgeführte Leistung, bei der jeder Handgriff sitzt. Jedes Bund Reet wird einzeln aufs Dach geworfen und dann Schicht für Schicht verlegt, so dass sich das Reet, Quadratmeter für Quadratmeter mit seiner goldgelben Farbe über das gesamte Dach ausbreitet. Insgesamt wurden 525 Quadratmeter Dachfläche mit Reet eingedeckt. Etwa die Hälfte der 6.800 Bunde – mit jeweils ca. 4 kg Gewicht – wurden einzeln aufs Dach geworfen und mit dem traditionellen Werkzeug auf der Rückseite des alten Bauernhauses verlegt. Das verwendete Reet stammt in diesem Fall aus Rumänien und wurde in der Länge von 1,90 bis 2,30m von der Firma Hiss Reet Schilfrohrhandel GmbH aus Bad Oldesloe geliefert. Bei der Installation auf dem Dach wird das Reet Schicht für Schicht von unten nach oben zum First verlegt. Die einzelnen überlappenden Reetschichten werden jeweils mit 4,5 mm starken Stangendrähten („Schachtdraht“), die parallel zur Dachlatte verlaufen, an den Dachstuhl herangezogen. Der Stangendraht liegt mit etwa 15 bis 17 cm in der Mitte der Eindeckstärke von 30 cm – 35 cm. Im nächsten Arbeitsschritt wird der 1 mm starke Bindedraht mit einem speziellen Nähbesteck um die Dachlatte herumgeführt und mit dem Stangendraht verdrillt. Insgesamt wird jedes Bund (2,30 m) in der Länge 3 – 4 mal mit Draht fixiert. Zwischendurch bringt der Handwerker das Reet mit dem Klopfbrett in Form. Wie genau dabei gearbeitet wird, zeigt sich später vor allem an den Übergängen der einzelnen Dachbereiche am Giebel, am Ortgang oder der Traufe, die für den Betrachter zum Teil künstlerisch anmuten.
Reetdachdeckerei Hermann Suhr – Traditionsbetrieb in der vierten Generation
Hermann Suhr leitet seinen Traditionsbetrieb in Seester, der 1898 gegründet wurde ,in vierter Generation. Er wuchs mit dem väterlichen Reetdachdeckerbetrieb auf. Mit 16 ging es dann rauf aufs Dach. Er lernte den Beruf des Reetdachdeckers von der Pike auf und erlebte dabei die Erfolgsgeschichte der Firma mit und übernahm schließlich 1994 den Betrieb. „1996 ist der ‚Reetdachdecker’ bei uns ein Ausbildungsberuf geworden,“ sagt Hermann Suhr. „Ich hatte schon vorher nach dem alten System die Gesellenbrief-Eignungsprüfung abgelegt und habe dann 1989 mit der großen Fähigkeitsprüfung meinen Meister gemacht.“ Bis heute leitet Hermann Suhr seinen Betrieb erfolgreich und mit stets gut gefüllten Auftragsbüchern. Seine zehn Mitarbeiter sind bereits lange, zum Teil 20 oder 25 Jahre im Betrieb. Es ist also reichlich Kompetenz und Erfahrung im Unternehmen vertreten. Alle Mitarbeiter arbeiten mit einem gewissen Stolz auf ihren Beruf und stets mit Blick auf die Qualität ihrer Arbeit, die sich dann in jedem Bauprojekt nach Fertigstellung widerspiegelt. Hermann Suhr: „Man kann auch sagen, dass die Arbeit des Reetdeckers etwas mit Kontinuität zu tun hat, weil man normalerweise lange im Unternehmen arbeitet. Die hohe Fluktuation, die wir aus anderen Bereichen der Baubranche kennen, ist in unserer Branche bei weitem nicht so stark ausgeprägt.“
In den vielen Jahren erlebte Hermann Suhr auch, wie sich das Handwerk und die traditionelle Arbeit über die Zeit entwickelt hat. „Jeder Reetdecker hat seine eigene Art, Reet zu verlegen, musste sich aber auch immer neuen Entwicklungen anpassen“, sagt Hermann Suhr weiter. „Früher wurden Gauben noch vom Tischer gebaut, während diese heute meist fertig und standardisiert vom Reethändler kommen. Früher wurden verschiedene Maße handwerklich angeglichen, während heute Standards die wesentlichen Maße bestimmen.“ Aber die Tradition ist heute nicht alles. Die neuesten Erkenntnisse bezüglich Qualitätssicherung fließen ebenso in die Arbeit mit ein, wie die aktuellen Vorgaben zum Brandschutz und zur Wärmeverordnung, egal ob es sich dabei um Neueindeckungen, Umbauten oder Reparaturen von Reetdächern handelt. Bei diesem alten Bauernhof in Seestermühe ist das ebenso. Auch hier realisieren wir einen Dachbau, der den aktuellen energetischen Vorgaben entspricht. Speziell an der Kehle zum Erker und eigentlich an allen Unterbrechungen der geraden Reetfläche sind wir beim Eindecken gefordert, um die Lebensdauer des Reetdaches so lange wie möglich zu gewährleisten.“ Und trotz der Anforderungen und Anpassungen des Reetdeckens an die aktuellen Anforderungen im Hausbau kann man unbestritten sagen, dass die Reetdachdeckerei bis heute ein traditionelles Handwerk geblieben ist“, erklärt Hermann Suhr weiter. „Wir haben viele ältere Referenzobjekte wie diesen alten Bauernhof, darunter zahlreiche, die unter Denkmalschutz stehen oder durch Förderprogramme für ländliche Räume unterstützt werden. Wir realisieren auch viele neue Objekte wie das gerade fertiggestellte Einfamilienhaus mit Reet auf der anderen Straßenseite in Seestermühe, das als reetgedeckter Blickfang ebenso begeistert.“
Die Qualität des Reets ist entscheidend
Der traditionelle und qualitätsbewusste Umgang mit dem Naturmaterial Reet beginnt bereits bei der Ernte, die noch heute mit vielen klassischen Handgriffen erfolgt, die bereits frühere Generationen ausgeübt haben. „Heute kommt das Reet nicht nur aus Deutschland, sondern aus Rumänien, anderen osteuropäischen Ländern oder China. Haupterntezeit ist im Winter. Auf das Dach kommt das Naturprodukt jedoch erst, wenn es ausreichend getrocknet ist. Der Feuchtigkeitsgrad sollte dann unter 18 Prozent liegen. Hermann Suhr bezieht bereits geprüftes Reet von der Firma Hiss Reet Schilfrohrhandel GmbH. Man kann sagen, das inzwischen fast alle Häuser mit geprüftem Reet eingedeckt werden und dass auch die Bauherren von sich aus auf die Herkunft des Reets achten bzw. gezielt nachfragen.“ Hermann Suhr hat sich für die Dachreeteinlagerung auf seinen Hof entschieden, weil das Reet dann unter qualitätssichernden Bedingungen bei ihm gelagert ist. „Wir packen dann das Reet für die Baustelle zurecht und sortieren es passend zu den jeweiligen Arbeiten.“ Das Reet kommt dann maßgerecht zur Eindeckung, beispielsweise mittellanges zum Eindecken der Gaube. Passend zu Walm-, Steil- oder Friesengiebeleindeckungen wird kürzeres Reet verwendet. Zwischendurch haben wir immer wieder besondere Aufträge, in denen das Reet speziellen Dachformen entsprechen und angepasst werden muss.
Qualitätsarbeit seit 1989
Die Reetdachdeckerei Hermann Suhr ist ein Einzelunternehmen in der vierten Generation. Hermann Suhr hat die Firma 1994 von seinem Vater Helmut Suhr übernommen, nachdem er zunächst einige Jahre als Geselle und seit 1989 als Reetdachdeckermeister im Unternehmen gearbeitet hat. Bereits der Großvater und der Urgroßvater von Hermann Suhr waren als Reetdachdecker tätig.
Reetdächer halten fast ein Leben lang
Beim Reetdach taucht auch immer wieder die Frage auf, wie lange das Reet das Dach sicher beschützt. Tatsächlich hängt die Lebensdauer des Reets von verschiedenen Faktoren wie der Ausrichtung des Dachs (Wetterseite) der Materialqualität und der Nutzung des Hauses ab. Gut belüftete Dächer, die regelmäßig von der Sonne beschienen werden und Dächer mit einer relativ steilen Neigung haben eine Lebenserwartung von 60 Jahren und oft auch deutlich mehr, was aber nicht ausschließt, dass ein Dach, das lange halten soll, der regelmäßigen Pflege bedarf.
Norddeutsche Reetdachdeckerbetriebe sind in der Innung aktiv
Etwa 70.000 reetgedeckte Häuser stehen in Deutschland, die meisten davon in Norddeutschland. In Schleswig-Holstein sind 60 Reetdachdeckerbetriebe als Innungsmitglieder aktiv. Die Betriebe in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen arbeiten seit vielen Jahren eng im Schulterschluss zusammen. Diese gute Kooperation zeigt sich unter anderem in der zentralen Ausbildungsstätte Lübeck Blankensee, die diese drei Länder gemeinsam nutzen.
Aufmacherfotos: Kurz vor Fertigstellung erstrahlt das Haupthaus des alten Bauernhofs bereits imposant und als makellose Referenz für die traditionelle Arbeit der Reetdecker. Vorder- und Rückseite des Gebäudes sind ein Schmuckstück und Blickfang. Sie fügen sich nahtlos in das ländliche Ambiente des alten Bauernhofs ein. Die Bauherren waren von diesem Haus sofort begeistert und nahmen die umfangreichen Baumaßnahmen und hohen Kosten für das alte Gebäude gerne in Kauf, obwohl für das Objekt, das bis vor zehn Jahren als einfaches Kulturdenkmal geschützt war, aktuell keine finanzielle Förderung mehr bestand.
„Traditionelle Werkzeuge“: Gut erkennbar ist die Arbeit mit der Bindenadel. Die Bindenadel mit Öse ist meist 60-75 cm lang und wird aus 8 – 10 mm Rundstahl geschmiedet und ist mit einem Griff (früher meist eine Kuhhornspitze) versehen. Sie dient beim Bindevorgang dazu, den Bindedraht durch das Reet nach oben zu ziehen.
Die runde Nadel wird hauptsächlich bei gebundenen Dächern eingesetzt. Sie hat einen Durchmesser von 30 – 45 cm, wird aus 8 – 10 mm starkem Rundstahl gefertigt, ist am Ende abgeflacht und meist mit einer Öse versehen. Mit der Rundnadel wird der Bindedraht unter den Latten hinweg durch die Deckschicht gezogen.
Kontaktdaten:
IG Pro Reet
Am Kurpark 29
23843 Bad Oldesloe
Telefon: +49 45 31 – 80 99 20
Telefax: +49 45 31 – 80 99 29
Reetdachdeckerei Hermann Suhr
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